Schachklub Olten
, Angst Markus

Oleksii Musiienko: eine Silbermedaille als Trost für die Kriegswirren in der ukrainischen Heimat

Mit Oleksii Musiienko hat der Schachklub Olten seit einem halben Jahr ein besonderes Neumitglied. Der 66-jährige Ukrainer ist Kriegsflüchtling und ist ebenso wie die mit ihm in die Schweiz gekommene Ehefrau Hanna taubstumm. Vor zwei Wochen gewann er an der ICCD World Deaf Team Chess Championships (Mannschafts-Weltmeisterschaft der Hörbehinderten) in der polnischen Hauptstadt Warschau mit der Ukraine hinter Kroatien die Silbermedaille.

Wir unterhielten uns mit Oleksii Musiienko über seine Erfahrungen mit der WM in Warschau und fragten ihn, warum er dem Schachklub Olten beigetreten ist und wie er sich trotz seines Handicaps in der Schweiz zurechtfindet.

Wie zufrieden bist Du mit dem Abschneiden der ukrainischen Gehörlosen-Nationalmannschaft an der ICCD World Deaf Team Chess Championships in Warschau?

Sehr zufrieden. Denn erstens waren wir nur die Nummer 5 der Startrangliste. Und zweitens war der Kampf um den 2. Platz äusserst hart, denn Polen und Deutschland lagen nur einen Mannschaftspunkt hinter uns.

Bist Du mehr glücklich über die Silbermedaille mit der Ukraine oder etwas traurig, dass es nicht zu Gold gereicht hat?

Wir haben zu keinem Zeitpunkt Gold nachgetrauert, sondern uns über unsere erste Silbermedaille gefreut. Denn es war das beste Resultat für die Ukraine an der ICCD World Deaf Team Chess Championships, nachdem wir zuvor vier Mal Bronze gewonnen hatten.

Wie bewertest Du Dein Einzelresultat?

Auch in dieser Beziehung bin ich zufrieden. Zwar scheinen 2½ Punkte aus neun Partien auf den ersten Blick etwas mager. Doch auf Anweisung unseres Coachs spielte ich am ersten Brett, obwohl ich mit 1808 ELO der klar schwächste Spieler unserer Mannschaft war und meine Teamkollegen Tara Owtscharow (2006), Oleksii Filippskikh (1993) und Wolodimir Zabolotny (1966) ein deutlich höheres Rating aufwiesen. Neben einem Sieg gegen den Usbeken Sobirjon Saidow (1533 ELO) spielte ich dreimal Remis – darunter als mein wertvollstes Resultat gegen den Internationalen Meister Branko Vujakovic (2286) aus Kroatien.

Du hast Deine Teamkollegen angesprochen. Sind auch sie Kriegsflüchtlinge, oder leben sie noch in der Ukraine?

Wir sind alle vier Flüchtlinge und leben in der Schweiz und in Norwegen.

Wie verlief Deine Reise von der Schweiz nach Warschau und wieder zurück in die Schweiz?

Absolut problemlos, ich flog von Zürich nach Warschau.

Musstest Du die Reise nach Polen selber bezahlen?

Ja, die Kosten für das Flugticket musste ich selber übernehmen. Die Unterkunft und Verpflegung in Warschau bezahlte jedoch der ukrainische Sportverband.

Stichwort Ukraine: In welcher Stadt hast Du vor Kriegsausbruch gelebt?

In der Hauptstadt Kiew, in der ich 1956 auch geboren wurde.

Wann bist Du mit Deiner Frau Hanna in die Schweiz geflüchtet?

Am 5. März, also nur wenige Tage nach Russlands Angriff auf die Ukraine.

Hast Du in der Ukraine Familienmitglieder?

Ja, wir haben in der Ukraine eine Tochter und zwei Enkelkinder.

Wohin in der Schweiz seid Ihr gereist?

Ins luzernische Reiden, wo meine Nichte Anna wohnt. Wir durften in ihre Wohnung einziehen, und sie hat uns vom ersten Tag an tatkräftig unterstützt. Nach ein paar Wochen sind wir dann ins Flüchtlingszentrum nach St. Urban umgezogen.

Wie schwierig war und ist es für Dich als Taubstummer, sich in der Schweiz zurechtzufinden?

Das geht eigentlich ganz gut. Meine ebenfalls taubstumme Frau und ich freuen uns insbesondere, dass wir den öffentlichen Verkehr gratis benützen dürfen. Das entlastet natürlich unser Budget. Klar ist die Kommunikation mit anderen Leuten manchmal etwas schwierig, da ich weder Deutsch noch Englisch verstehe. Doch mit dem Handy und Google Translate können wir von Ukrainisch auf Deutsch und umgekehrt kommunizieren.

Wie lange spielst Du schon Schach?

Seit meinem 16. Lebensjahr.

In welchem ukrainischen Schachklub hast Du gespielt?

Im Verein Kaschtan in Kiew.

Spielst Du mit Deinen Kiewer Klubmitgliedern jetzt Online-Schach auf einer Internet-Plattform?

Nur ganz selten.

Seit wann spielst Du in der ukrainischen Hörbehinderten-Nationalmannschaft?

Seit 2016.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, dem Schachklub Olten beizutreten?

Das Schöne am Schachsport ist ja, dass er weltweit ausgeübt werden kann und die Regeln überall die gleichen sind. Deshalb wollte ich nach meiner Ankunft in der Schweiz unbedingt auch wieder Schach spielen. Ich sah mich mit meinem Betreuer Peter Suter in der Region etwas um und fand das Turnierangebot des Schachklubs Olten attraktiv. Ich schaute dann an einem Klubabend vorbei und wusste sogleich: hier möchte ich spielen.

Wie gefällt es Dir im Schachklub Olten?

Bestens! Ich wurde herzlich aufgenommen und konnte gleich in alle Turniere einsteigen. Besonders gefreut hat mich, dass mir der Verein den Jahresbeitrag für 2022 erlassen hat.

Was gefällt Dir besonders gut im Schachklub Olten?

Dass Turniere in allen Kadenzen (Blitz/Rapid/Klassisch) angeboten werden.

Wie fährst Du jeweils von Deinem Wohnort St. Urban ins Klublokal Restaurant «Kastaniengarten» nach Trimbach?

Mit dem Bus von St. Urban nach Reiden, dann mit dem Zug nach Olten und von dort mit dem Bus nach Trimbach. Eine Fahrt dauert zwar rund eine Stunde, aber ich habe ja Zeit!

Wie sehen Deine Zukunftspläne aus?   Es gefällt mir und meiner Frau in der Schweiz wirklich sehr gut. Aber wenn der Krieg vorbei ist, möchten wir wieder in die Ukraine zurückkehren.

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Neben Oleksii Musiienko spielte an der ICCD World Deaf Team Chess Championships in Warschau mit Modest Jiang ein zweites Mitglied des Schachklubs Olten mit. Der 27-Jährige belegte mit dem Schweizer Team den 10. Platz unter zwölf Nationen. Mit 3 Punkten aus fünf Partien war er der prozentual erfolgreichste Schweizer.

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Ein Gespräch am Tisch, Telefon, Skype, WhatsApp, Mail – viele Wege führen heutzutage zu einem spannenden Interview. Beim ukrainischen Kriegsflüchtling und Schachspieler Oleksii Musiienko war alles etwas anders. Er ist taubstumm und versteht weder Deutsch noch Englisch. Wir schickten ihm deshalb die via Google Translate von Deutsch auf Ukrainisch übersetzten Fragen. Er schrieb, da er keinen Computer besitzt, die Antworten von Hand auf Ukrainisch auf ein A4-Blatt. Seine in Reiden wohnhafte Nichte wiederum übersetzte den Text ebenfalls von Hand auf Deutsch und gab so den Startschuss für die Story.

Hier finden Sie die Resultate der Mannschafts-Weltmeisterschaft der Hörbehinderten in Warschau.